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Ein Tag unter Narren für den SÜDKURIER-Redakteur Mathias Güntert

Wie es ist, plötzlich ein Poppele zu sein

Quelle: Südkurier, 28.02.2025 Autor und Bilder von Mathias Güntert

plötzlich ein Hansele
Und plötzlich ein Hansele: SÜDKURIER-Redakteur Matthias Güntert hat am Schmutzigen Dunschtig einen Tag unter Narren verbracht. | Bild: Mathias Güntert

Erst wird aus einem SÜDKURIER-Redakteur ein Zunftgeselle und dann darf er beim Umzug als Hansele mitlaufen – dabei ist er doch gar kein Narr. So fühlt sich ein Tag im Häs an.

Feiern, laute Musik und auch das ein oder andere Gläschen Alkohol gehören zur Fasnet dazu. Es ist kein Geheimnis: Die Hegauer Narren feiern wie eine Lampe aus den 70ern – sie glüh‘n gern vor, sie geh‘n gern aus und ab und an haut‘s ihnen die Sicherungen raus. Doch die fünfte Jahreszeit ist so viel mehr. Denn was auf den ersten Blick nur nach Halli-Galli aussieht, ist geprägt von Brauchtum und Tradition. Und was ein Nicht-Narr kaum glauben mag: von Disziplin.

Aus der Reihe tanzen ist an der Fasnet erlaubt, aber nicht beim Umzug und schon gar nicht, wenn die Maske getragen wird. Ein Tag unter Narren oder wie aus einem SÜDKURIER-Redakteur ein Poppele wird – zumindest auf Zeit. Auf meiner Reportage-Reise einmal quer durch den Schmutzigen Dunschtig mit der Singener Narrenzunft begleiten mich drei Fasnet-Familien: die Knittels, die Kanias und die Bangerts.

Start mit roten Socken, schwarzen Kniehosen, blauer Kutte

Der Schmutzige Dunschtig beginnt früh, sehr früh. Kurz vor 8 Uhr ist genau die Zeit, die Redakteure lieben. In der Zunftschüür herrscht rege Betriebsamkeit. Hier steht ein Hooriger Bär, dort ein Rebwieb und überall schwirren Hansele herum. Eine Gruppe steht etwas abseits. Rote Socken, schwarze Kniehosen, blaue Kutten. Unverkennbar die Zunftgesellen, jene Gruppe, mit denen ich meinen Morgen verbringen werde.

Sandra Georg wartet schon auf den Poppele-Azubi auf Zeit. Mit einem freundlichen, aber bestimmten „Mitkommen, wir haben nicht viel Zeit!“ macht sie aus dem SÜDKURIER-Redakteur einen Zunftgesellen. Und neutrale Beobachter bestätigen später: Die Kutte passt wie angegossen!

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Der zweijährige Leo und seine Mama Lisa Knittel haben die Fasnet im Blut. | Bild: Mathias Güntert

Christoph Knittel ist Zunftgeselle, seit er denken kann. „Eigentlich sind alle bei uns bei den Poppele“, sagt er. Sein Vater Ralf und sein Bruder Tobias sind ebenfalls Zunftgesellen, sein zweijähriger Sohn Leo trägt schon jetzt die blaue Kutte mit Stolz, seine Frau Lisa ist ein Schellenhansele.

Narrenbaum ganz ohne Motorsäge

Das Narrenbaumeinholen sei für ihn immer wieder ein besonderer Moment. „Wir machen alles auf traditionelle Art und mit Muskelkraft“, verrät er. Was er damit meint, wird wenige Augenblicke später gegen 9 Uhr im Wald hinter dem Waldfriedhof deutlich. Mit Äxten und Sägen rücken die Zunftgesellen dem Baum zu Leibe, eine Motorsäge sucht man vergeblich.

Auf ihr Kommando hört im Wald jeder Zunftgeselle: Zunftgesellenboss Markus Stengele (links) und Hans Willam. | Bild: Mathias Güntert
Auf ihr Kommando hört im Wald jeder Zunftgeselle: Zunftgesellenboss Markus Stengele (links) und Hans Willam. | Bild: Mathias Güntert

Zunftgesellenboss Markus Stengele und Hans Willam beäugen das Fällen mit Argusaugen. Schnell wird beim Einholen des Narrenbaumes deutlich, dass es doch ab und an auf Länge und Technik ankommt – und vor allem auf Disziplin. Jeder Handgriff sitzt, die Zunftgesellen sind ein eingespieltes Team.

Echte Teamarbeit: Die Zunftgesellen holen den Narrenbaum ein. | Bild: Mathias Güntert
Echte Teamarbeit: Die Zunftgesellen holen den Narrenbaum ein. | Bild: Mathias Güntert

Alkohol fließt an diesem Morgen keiner. „Das erste Bier gibt es erst, wenn der Narrenbaum im Narrenbaumloch steht“, verrät Stengele. Achja, der diesjährige Narrenbaum ist fast 28 Meter lang, es war nur ein Versuch zum Fällen nötig und der Dolden ist nicht gebrochen. „Letztes Jahr haben wir vier Versuche gebraucht“, scherzt Christoph Knittel.

Unterwegs mit dem Zunftmeister

Zurück in der Singener Innenstadt bin ich mit Zunftmeister Stephan Glunk verabredet. Natürlich in der Lokalredaktion des SÜDKURIER, die erstmals wieder zum Narrennest geworden ist. Nach mehreren Jahren Pause hat die Lokalredaktion die Narren nämlich wieder am Schmutzigen Dunschtig in die Erzbergerstraße eingeladen und knüpft damit an eine ebenso alte wie beliebte Tradition an. „Genau das ist es, was die Fasnet ausmacht. Sie lebt vom Miteinander und von Traditionen“, betont Glunk.

80 Jahre SÜDKURIER, ein Vollblutnarr und ein Amateur: Zunftmeister Stephan Glunk (links) und SÜDKURIER-Redakteur Matthias Güntert mit den neuen SÜDKURIER-Orden. | Bild: Kerle, Helene
80 Jahre SÜDKURIER, ein Vollblutnarr und ein Amateur: Zunftmeister Stephan Glunk (links) und SÜDKURIER-Redakteur Matthias Güntert mit den neuen SÜDKURIER-Orden. | Bild: Kerle, Helene

Was der Zunftmeister damit meint, wird beim Gang durch die Innenstadt deutlich. Die Narren in Singen sind eine große Familie. Von überall her schallt einem ein freudiges „Hoorig“ entgegen, wenn man einem oder mehreren Poppele-Mitgliedern begegnet. Auch die Jüngsten grüßen freundlich, haken sich ein und singen gemeinsam ein „Hoorig, hoorig, hoorig isch de Sell“. Zunftmeister Glunk freut es: „Jedes Kind in Singen kennt das Hoorig. Das ist schön und macht mich jedes Mal aufs Neue stolz“, so Glunk.

Aber er macht auch deutlich: Dahinter steckt jede Menge Arbeit. Zum Beispiel unzählige Besuche in den Singener Schulen und Kitas, bei denen die Poppele ihre Kinderfibeln verteilen, mit denen die Kinder an das Brauchtum der Narretei herangeführt werden. „Unsere Jungnarren sind unsere Zukunft, sie leben unseren Brauchtum und unsere Tradition fort“, so Glunk. Und wie zum Beweis bleibt er bei einer kleinen Schar an jungen Schellenhansele stehen und begrüßt sie fröhlich mit Namen – unter Narren, da kennt man sich.

Aus dem Zunftgeselle wird ein Hansele

Wieder in der Zunftschüür angelangt, muss es gegen 14 Uhr wieder schnell gehen. Meine Zeit als Zunftgeselle wird kurzzeitig unterbrochen. Zum Umzug am Schmutzigen geht es einmal quer durch die Stadt als Hansele. Hanselevadder Joachim Aki Kania steht mit einem passenden Häs bereit. Normalerweise darf ein Nicht-Hansele das Häs nicht tragen. Dass mir die Poppele diese Besonderheit gar zweimal bescheren, erfüllt mich mit einer gehörigen Portion Respekt. „Genieß es einfach“, lautet der Rat von Aki Kania.

Kurz bevor der Umzug startet, lerne ich dann noch Emily Bangert und Jule Kania kennen. Auch für sie ist der Umzug eine Premiere. Zum ersten Mal laufen sie als Schellenhansele mit. „Ganz schön warm ist es unter dem Häs“, sagt Emily, bevor es losgeht. Und die kleine Närrin hat recht, auch unter meinem Hansele wird es immer wärmer. „Keine Sorge, du schaffst das schon“, sagt sie und hüpft davon.

Das erste Foto im Hansele. Mit dabei: Rebwieb Christine Gaiser und Hanselevaddar Joachim Aki Kania. | Bild: Matthias Güntert
Das erste Foto im Hansele. Mit dabei: Rebwieb Christine Gaiser und Hanselevaddar Joachim Aki Kania. | Bild: Matthias Güntert

„Fasnet ist für mich die schönste Zeit. Hier sind alle gleich. Wir sind eine große Familie!“, ruft mir Aki Kania zu und verschwindet dann wieder in der Menge der Hansele. Wenn der Umzugs-Amateur aus der Lokalredaktion nicht mehr weiter weiß, dann sind gleich zwei, drei oder vier Hansele parat und zeigen feiernd, tanzend und singend den richtigen Weg. Eine große Narren-Familie eben. Und die Familie der Hansele ist groß. Laut dem Hanselevadder umfasst seine Gruppe 120 Hansele und circa 30 Kinderhansele.

Aber wie in jeder guten Familie kann der Ton auch mal härter werden – ohne, dass man lange böse ist. Auf der Suche nach einem guten Foto nehme ich die Maske kurz ab. Ein Umstand der meinen neuen Hansele-Freunden nicht gefällt, denn plötzlich prasseln die Suubloodere auf mich ein. „Maske auf“, ruft es aus mehrere Masken. Zum Glück ist das schnell erledigt und das Foto hat dennoch geklappt.

Nach knapp zwei Stunden ist der Rausch vorbei, der Umzug ist beendet. Schweratmend ziehe ich die Maske vom Kopf und grinse wie ein Honigkuchenpferd.

Neue Freunde und der brennende Bög

Danach rasen die Stunden wie im ICE vorbei. Narrenbaumstellen, närrisches Treiben auf dem Rathausplatz, Hemdglonker. Bei der Bög-Verbrennung um kurz vor 19 Uhr sind auch die zwei jungen Schellenhansele Jule und Emily wieder dabei.

Sind dicke Narrenfreunde geworden: Leni Kania und SÜDKURIER-Redakteur Matthias Güntert kurz vor der Bög-Verbrennung. | Bild: Mathias Güntert
Sind dicke Narrenfreunde geworden: Leni Kania und SÜDKURIER-Redakteur Matthias Güntert kurz vor der Bög-Verbrennung. | Bild: Mathias Güntert

Dann passiert wieder so ein Moment, in dem klar wird, dass Fasnet mehr ist, als nur feiern, tanzen und trinken. Jules große Schwester Leni kommt auf mich zu. Sie trägt eine Fackel in der Hand. „Willst du den Bög mit mir anzünden gehen?“, fragt sie. Natürlich will der Azubi im Häs, hat er schließlich noch nie gemacht.

Närrisches Feuerspektakel: Den Abschluss des Schmutzigen Dunschtig bildet traditionell die Verbrennung des Bög. | Bild: Mathias Güntert
Närrisches Feuerspektakel: Den Abschluss des Schmutzigen Dunschtig bildet traditionell die Verbrennung des Bög. | Bild: Mathias Güntert

Als der Bög brennt, treffe ich Familie Knittel wieder. Leo, Lisa und Christoph – im Schlepptau ein Mitgliedsantrag für die Poppele. Auf die Frage, was Fasnet und Narretei für sie darstellt, sagen die Knittels: „Wir lieben die Fasnet, weil man den Alltag hinter sich lassen kann. Aber auch, weil wir Traditionen weiterführen. Alle sind gut drauf, man feiert mit ganz verschiedenen Menschen.“

Nach einem ganzen Tag im Häs muss ich ihnen Recht geben: Fasnet ist Brauchtum und Tradition, aber vor allem auch Herzlichkeit und Zusammenhalt.


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